Wirtschaftsspiegel Thüringen – Ausgabe 02/2021

Zukunft 7 ausgestatteten Forschungslandschaft. Wichtig für die Zukunft ist jedoch, dass wir Forschung und Unternehmertum als zwei Seiten von Innovation verstehen und die Forscher zu mehr Unternehmer- tum und die Unternehmer zu mehr Forschertum anregen. Hier liegen unge- nutzte Potenziale, um Thüringen inno- vativer und zukunftsfähiger zu machen. Strukturell bedeutsam ist jedoch auch, die Unternehmen in den industriell starken Regionen südlich und nördlich der A4 und die Unternehmen aus etab- lierten Branchen wie der Automobil- zulieferindustrie, den metall- und kunst- stoffverarbeitenden Unternehmen ver- stärkt auf Forschung und Veränderung einzustimmen und vorzubereiten. Ein Thüringen der zwei (Innovations-) Ge- schwindigkeiten würde Wohlstand und Innovationskraft des gesamten Landes erheblich schwächen. Mit den Instrumentarien der For- schungs- und Innovationsförderung ist Thüringen, auch im Vergleich mit ande- ren Bundesländern, sehr gut aufgestellt. Allein die Mittelausstattung ist für die vor uns liegenden Aufgaben nicht aus- reichend. Wir brauchen mehr Mittel und häufigere Ausschreibung von wettbe- werblichen Förderrunden. Und wenn ich etwas anregen darf: Wir brauchen Boardmittel in den Fachrefe- raten des Wirtschafts-, Umwelt- und Infrastrukturministeriums um einzelne, wenige strategische für Thüringen be- sonders potenzialträchtige Einzelvor- haben kurzfristig und unbürokratisch auf den Weg bringen zu können. Dies ist wie das Verhältnis von Banken und Venture Capital Gesellschaften bei der Finanzierung. Die klassische Innova- tionsförderung fördert viele Unterneh- mern, die strategischen Boardmittel sind für spezielle Impulse verfügbar. Ein Trend, der bereits in einigen Referaten des Bundes sehr gute Ergebnisse zeig- te. Ich greife das Stichwort strategische Förderung gern auf. Kann es sein, dass bei den politischen Entscheidern in Thüringen Sicherheit vor Risiko geht? Der Einsatz öffentlicher Mittel ist an (Compliance-)Regeln gebunden. Dies verhindert Fehlverhalten, behindert aber auch flexibles und schnelles Rea- gieren. Deshalb mein Vorschlag, zusätz- lich zu den richtliniengebundenen In- novationsförderungen in den Fachrefe- raten einen kleinen Anteil der Mittel für strategische Projekte mit einem flexib- leren Vergaberahmen verfügbar zu ma- chen. Dann würde der notwendige Freiraum für chancenreichere Themen innerhalb der Regeln geöffnet und wir müssten nicht über risikoscheue Entscheider diskutieren. Noch einmal zurück zum Anfang: Thü- ringen hat vor Jahren die sogenannte RIS3-Strategie ins Leben gerufen (RIS3: „regional innovation strategy for smart specialisation“ steht für „Regionale For- schungs- und Innovationsstrategie für intelligente Spezialisierung“ – Anm. d. R.). Sie sind einer der Protagonisten der Initiative. Es mag an Corona liegen, aber man hat schon lange nichts mehr davon gehört. Geben Sie uns bitte ein Update. Zuerst einmal war RIS3 eine EU-An- forderung als Voraussetzung für euro- päische Fördermittel. Mit dem RIS3- Prozess ist Thüringen jedoch etwas einzigartiges gelungen. Neben der Schwerpunktsetzung auf fünf Wachs- tumsfelder wurde für jedes Feld ein Arbeitskreis als Beratergremium aus Thüringer Experten initialisiert, das die ministerielle Expertise erweitern und um aktuelle Herausforderungen aus Wirtschaft und Forschung ergänzen konnte. Eine Organisationsstruktur, die thüringenweit die Expertise bündelte und für die Innovationsentwicklung ver- fügbar machte. Ein Aufbruch mit viel Potenzial und viel Engagement. Nach mehr als fünf Jahren sind alle Ziele gegenüber der EU erreicht aber viele der erhofften Potenziale konnten nicht erschlossen werden. Zu wenig wurde die Expertise der Arbeitskreise durch die Ministerien einbezogen und damit eine einzigartige Chance unge- nutzt gelassen. Das fordert geradezu die Nachfrage: Was wünschen Sie sich in diesem Zu- sammenhang für die künftige Arbeit? Mit den im RIS3 Prozess geschaffenen Gremien besitzt Thüringen die Mög- lichkeit, strategische Vorhaben und Konzepte mit Fachexperten zu diskutie- ren, Einschätzungen und Anregungen in wirtschaftspolitische Aktivitäten einzu- beziehen und Ideen frühzeitig mit Fach- gremien zu spiegeln. Ich würde mir als Sprecher des Ar- beitskreises Nachhaltige Mobilität und Logistik wünschen, die Expertise unse- res Arbeitskreises als beratendes Gre- mium in mehr landespolitische Fragen einzubringen und mit unseren Erfah- rungen unterstützen zu können. Eine letzte Frage: Auf welchen Feldern sehen Sie für Thüringer KMUs die größ- ten Potenziale für eine zukunftsfeste Entwicklung, und was sollten die Un- ternehmen dafür tun? Thüringen braucht einige große Unter- nehmen mit wesentlichen Anteilen in ihren Märkten. Dies müssen nicht nur Eigengewächse sein. Aber diese großen Player müssen mehr als nur ein Ferti- gungsstandort sein, sondern hier auch entwickeln, einkaufen und den Vertrieb organisieren. Thüringer Unternehmen müssen ihr Ge- schäft ständig hinterfragen und, wie man so schön sagt, sich ständig neu er- finden. Dies darf keine hohle Phrase, sondern muss gelebte Kultur sein. Die größten Potenziale sehe ich dabei in der Digitalisierung des Leistungsange- botes, in der Implementierung neuer Technologien und der schnellen Adap- tion neuer technologischer Trends. Elek- tromobilität als Innovationstreiber ist beispielsweise schon seit mehr als 10 Jahren in Thüringen bekannt, aber erst seit etwa zwei Jahren wird dieser Trend in Thüringen in der Breite wirklich als Herausforderung angenommen. Die Innovationskraft einer Region misst sich in Relation zu seinen Nachbarn. Wir müssen nicht die schnellsten sein, son- dern nur schneller als die anderen. Interview: Torsten Laudien

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